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Mitteilungen an die Medien
Pressemitteilung vom 28.08.2020 betr. das Verfahren Lv 15/20 |
Corona-Verordnung: Maskenpflicht verfassungsgemäß -
Kontaktnachverfolgung muss neu geregelt werden
I.
Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit Beschluss vom
heutigen Tage auf eine Verfassungsbeschwerde eines im Saarland lebenden
Bürgers entschieden, dass die Vorschrift zum Tragen einer
Mund-Nasen-Bedeckung (Art. 2 § 2 der Corona-Verordnung)
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Vorschrift zur
Kontaktnachverfolgung (§ 3 der Corona-Verordnung) hat der
Verfassungsgerichtshof dagegen für verfassungswidrig erklärt. Die
Vorschrift gilt jedoch bis zu einer Neuregelung durch den Landtag unter
strengen Auflagen - längstens bis zum 30. November 2020 - fort.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde hat sich der Beschwerdeführer gegen
einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 13. Mai
2020 gewandt, mit dem sein Antrag auf Außervollzugsetzung der
saarländischen Corona-Verordnung zurückgewiesen wurde. Der
Beschwerdeführer sieht sich durch die Vorschriften zum Tragen einer
Mund-Nasen-Bedeckung sowie zur Kontaktnachverfolgung in seinen
Grundrechten der allgemeinen Handlungsfreiheit und auf Datenschutz
verletzt.
III.
Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die Vorschrift zum
Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Art. 2 § 2 der Corona-Verordnung)
verfassungsgemäß ist. Der Verfassungsgerichtshof hat ausgeführt, dass
der mit der „Maskenpflicht“ verbundene Grundrechtseingriff gering ist.
Die „Maskenpflicht“ ist zeitlich eng begrenzt, verlangt einen geringen
Aufwand und kann im Wesentlichen als lästig betrachtet werden, führt
aber nicht zu ins Gewicht fallenden Einschränkungen der Fortbewegungs-
und Entfaltungsfreiheit. Angesichts der derzeitigen wissenschaftlichen
Erkenntnisse, wonach das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung geeignet
ist, Infektionen Anderer mit dem Corona-Virus einzudämmen und so zur
Stabilität des Gesundheitssystems beizutragen, stellt sich die durch
Art. 2 § 2 der Corona-Verordnung getroffene Regelung als eine
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Maßnahme zur Bekämpfung der
Pandemie dar.
IV.
Der Verfassungsgerichtshof hat weiter entschieden, dass Art. 2 § 3 der
saarländischen Corona-Verordnung mit der Verfassung des Saarlandes
unvereinbar ist. Durch die Vorschrift wird die Erhebung persönlicher
Informationen nicht nur im Rahmen von Gaststättenbesuchen, sondern auch
beispielsweise von Gottesdiensten, politischen und gesellschaftlichen
Zusammenkünften, bewirkt. Damit ist die Pflicht zur Gewährleistung
einer Kontaktnachverfolgung durchaus geeignet, Bürgerinnen und Bürger
von der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten entscheidend abzuhalten
und Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile zu erstellen.
Über einen solchen Eingriff dürfe nicht die Exekutive alleine
entscheiden. Vielmehr sei das Parlament berufen, in öffentlicher,
transparenter Debatte Für und Wider abzuwägen, vor allem aber die
Verwendung der Informationen rechtssicher zu regeln.
Der durch die Vorschrift ermöglichte Eingriff in das Grundrecht auf
Schutz der personenbezogenen Daten dauert bereits länger an und wird
angesichts der Infektionslage voraussichtlich weitere Monate andauern.
Damit ist der Grundrechtseingriff von einer derartigen Intensität, dass
nur ein Parlamentsgesetz - nicht aber eine Rechtsverordnung der
Landesregierung - ihn rechtfertigen kann. Da Art. 2 § 3 der
Corona-Verordnung dem legitimen Ziel der Pandemie-Eindämmung dient, hat
der Verfassungsgerichtshof von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die
Vorschrift bis zu einer Neuregelung durch den Landtag des
Saarlandes vorübergehend - längstens bis zum 30. November 2020 -
in Kraft zu lassen. Personenbezogene Daten, die nach der Vorschrift
erhoben werden, dürfen jedoch nur aufgrund einer gerichtlichen
Entscheidung an die Gesundheitsbehörden übermittelt werden.
Beschluss vom 28. August 2020 – Lv 15/20
Die Entscheidung ist auf der Homepage des Verfassungsgerichtshofs (www.verfassungsgerichtshof-saarland.de) veröffentlicht.
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Pressemitteilung vom 28.04.2020 betr. das Verfahren Lv 7/20 |
Corona-Verordnung: Verfassungsgerichtshof lockert Ausgangsbeschränkungen
I.
Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit Beschluss vom
heutigen Tage auf einen Eilantrag eines saarländischen Bürgers die in §
2 Abs. 3 der Rechtsverordnung der Landesregierung vom 17. April 2020
angeführten Ausgangsbeschränkungen gelockert, um Begegnungen in
Familien sowie das Verweilen im Freien - unter Wahrung der notwendigen
Abstände und unter Beachtung der Kontaktreduzierung - zu ermöglichen.
II.
Der Antragsteller hat sich mit einer ausschließlich gegen § 2 Abs. 3
der Verordnung gerichteten Verfassungsbeschwerde an den
Verfassungsgerichtshof gewandt und zugleich beantragt, im Wege einer
einstweiligen Anordnung den Vollzug der Vorschrift auszusetzen. Er
sieht sich durch das grundsätzliche Verbot des Verlassens der eigenen
Wohnung in seinem Grundrecht der Freiheit der Person verletzt.
III.
Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass die von der
Landesregierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie getroffenen
Maßnahmen im Hinblick auf die Grenzlage des Saarlandes zu dem von der
Corona-Pandemie besonders schwer betroffenen Frankreich und angesichts
der im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands besonders hohen
Infektionszahlen im März geboten waren. Die mit der
Ausgangsbeschränkung verbundenen Grundrechtseingriffe müssen allerdings
- so der Verfassungsgerichtshof - Tag für Tag auf ihre
Verhältnismäßigkeit überprüft werden.
Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass aktuell keine
belastbaren Gründe für die uneingeschränkte Fortdauer der strengen
saarländischen Regelung des Verbots des Verlassens der Wohnung mehr
bestehen. Zum einen lässt sich aus einem Vergleich der Infektions- und
Sterberaten in den deutschen Bundesländern mit und ohne
Ausgangsbeschränkung kein Rückschluss auf die Wirksamkeit der
Ausgangsbeschränkung ziehen. Dies wird durch eine aktuelle Studie von
Schweizer Wissenschaftlern bestätigt, nach der Ausgangbeschränkungen -
im Gegensatz zum Verbot von Veranstaltungen oder anderen
Zusammenkünften - nur geringe zusätzliche Auswirkungen auf das
Infektionsgeschehen haben. Zum anderen hat die Nationale Akademie der
Wissenschaften Leopoldina dazu geraten, sobald irgend möglich eine
vorsichtige Lockerung der Freiheitsbeschränkungen einzuleiten, um
weitere kollaterale Nachteile zu beschränken und die Akzeptanz in der
Bevölkerung zu erhalten.
Der Verfassungsgerichtshof weiß sich dabei in Übereinstimmung mit dem
Vorhaben der Landesregierung, von Verboten der Grundrechtsausübung mit
Erlaubnisvorbehalt zur grundsätzlichen Erlaubnis mit erforderlichen
Verbotsvorbehalten zu kommen.
IV.
Konkret bedeutet die heutige Entscheidung, dass Treffen von Eheleuten,
Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern, Verwandten in gerader Linie
sowie Geschwistern und Geschwisterkindern oder in häuslicher
Gemeinschaft miteinander lebenden Personen zuzüglich maximal einer
weiteren Person - unter Beachtung des Kontaktreduzierungs- und des
Abstandsgebots - im privaten Raum erlaubt sind. Erlaubt ist - ebenfalls
unter Beachtung des Kontaktreduzierungs- und Abstandsgebots - das
Verweilen im Freien.
Beschluss vom 28. April 2020 – Lv 7/20
Die Entscheidung ist auf der Homepage des Verfassungsgerichtshofs (www.verfassungsgerichtshof-saarland.de) veröffentlicht.
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Pressemitteilung vom 09.07.2019 betr. das Verfahren Lv 7/17 |
Verfassungsgerichtshof gibt Verfassungsbeschwerde
gegen Verurteilung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung statt –
Geschwindigkeitsmessung mit Traffstar S 350 unverwertbar
I.
Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat
der Verfassungsbeschwerde eines Kraftfahrers gegen seine Verurteilung
wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung stattgegeben.
Der betroffene Kraftfahrer war wegen einer
Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h innerorts - in
Friedrichsthal/Saarland - zu einer Geldbuße von 100 € verurteilt
worden. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte durch ein Gerät der Firma
Jenoptik (Typ Traffistar S 350). Bei dem Gerät handelt es sich um ein
durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) zugelassenes
Messgerät. Ob die Messungen mit dem Gerät Traffistar S 350 verwertbar
sind, ist in der bußgeldrechtlichen Rechtsprechung höchst umstritten.
Im Bußgeldverfahren hatte der Kraftfahrer beantragt, ein
Sachverständigengutachten einzuholen zu der von ihm erhobenen
Behauptung, dass bei dem Messgerät des Typs Traffistar S 350 die
Möglichkeit ausgeschlossen sei, die Messung sachverständig überprüfen
zu lassen, da das Gerät nicht alle Messdaten speichere. Die im
Bußgeldverfahren befassten Gerichte – Amtsgericht Saarbrücken und
Saarländisches Oberlandesgericht – sind dem nicht nachgekommen und bei
ihren Entscheidungen davon ausgegangen, dass trotz der fehlenden
Speicherung aller Messdaten der Geschwindigkeitsverstoß festgestellt
werden kann und die Daten zur Grundlage der Verurteilung gemacht werden
können, da bei einem von der PTB zugelassenen Messgerät die Gerichte
grundsätzlich von der Richtigkeit der Messung ausgehen könnten (sog.
standardisiertes Messverfahren).
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der betroffene Kraftfahrer u.a.
eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren, da ihm durch
die fehlende Speicherung aller Messdaten die Möglichkeit genommen
werde, Messfehler aufzuzeigen.
Der Verfassungsgerichtshof hat zu der Frage, welche Daten des
Messvorgangs erforderlich sind, um eine valide nachträgliche
Überprüfung von Geschwindigkeitsmessungen zu ermöglichen, drei
Sachverständige angehört, nämlich Prof. Dr. Andreas Schütze
(Universität des Saarlandes), Dr. Dirk Ratschko
(Physikalisch-Technische Bundesanstalt) und Dr. Johannes Priester
(forensisch tätiger Verkehrssachverständiger). Sachverständig beraten
ist der Verfassungsgerichtshof zur Auffassung gelangt, dass die derzeit
von dem Gerät Traffstar S 350 gespeicherten Daten keine zuverlässige
nachträgliche Kontrolle des Messergebnisses erlauben, eine solche aber
bei einer – ohne größeren Aufwand technisch möglichen – Speicherung der
sog. Rohmessdaten möglich wäre.
II.
Der Verfassungsgerichtshof hat
entschieden, dass die angegriffenen Entscheidungen die Grundrechte des
Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren und effektive Verteidigung
verletzen.
Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, dass die
Geschwindigkeitsmessung durch das Gerät Traffistar S 350 ein
standardisiertes Messverfahren darstellt. Die mit Traffistar S
350 gewonnenen Messergebnisse können daher durchaus zur Grundlage einer
Verurteilung gemacht werden. Wenn sich ein Betroffener jedoch - wie
vorliegend - gegen das Messergebnis wendet, muss er nach Auffassung des
Verfassungsgerichtshofs die Möglichkeit haben, die Validität der
standardisierten Messung zu überprüfen. Das ist auch dann der Fall,
wenn er zunächst keinen auf der Hand liegenden Einwand – etwa sich aus
dem Lichtbild offenkundig ergebende Unklarheiten – vortragen kann. Denn
zu einer wirksamen Verteidigung gehört auch, nachforschen zu können, ob
es bislang nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit des Vorwurfs
gibt. Dies ist dem Beschwerdeführer aber mangels Speicherung der
Rohmessdaten verwehrt.
Da die Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Gerät Traffistar S 350
wegen der verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf wirksame
Verteidigung unverwertbar sind, hat der Verfassungsgerichtshof die
angegriffenen Entscheidungen aufgehoben.
Der Verfassungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die
Entscheidung nur die saarländischen Gerichte im konkreten Fall bindet,
er aber in gleich gelagerten Fällen abweichende Entscheidungen
saarländischer Gerichte korrigieren wird.
Urteil vom 5. Juli 2019 – Lv 7/17
Die Entscheidung wird in Kürze im Volltext auf der Homepage des Verfassungsgerichtshofs (www.verfassungsgerichtshof-saarland.de) veröffentlicht werden.
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